first floor (*)

Der Unterschied zwischen amerikanischem und britischem Englisch bedeudet in diesem Falle nur, dass man bei der britischen Variante ein paar Treppenstufen bewältigen muss.
Doch geht es hier nicht um Paterre oder Obergeschoß, sondern um ein Sternerestaurant in Berlin. Während das Logo des Restaurants die nötige „Bodenhaftung“ offenbart – ich konnte der Versuchung, dieses Bild an den Anfang zu setzen nicht widerstehen – befindet sich die Küche längst in höheren Sphären.
Im seit vielen Jahren mit einem Michelinstern ausgezeichneten Restaurant im Hotel Palace in Berlin, setzt seit Frühjahr 2010 Matthias Diether als Küchenchef die Akzente.
Er löste Matthias Buchholz ab, der bei meinem letzten Besuch noch den Takt vorgab. Doch wollen wir uns jetzt lieber der Gegenwart zuwenden.

Der Empfang war freundlich und routiniert. Ein schöner Fensterplatz war für uns vorgesehen und so konnten wir nicht nur auf den gegenüberliegenden Zoo, sondern auch in das lichtdurchflutete, großräumige und später auch gut besuchte Restaurant schauen.

Wir wählten das 9-Gänge-Menü und ließen uns dazu von Gunnar Tietz, Gault Millau´s Sommelier des Jahres 2011, begleiten. Dazu später mehr.

Zum Aperitif reichte man wohlschmeckende gefüllte Hörnchen, deren nähere Betrachtung dem Studium von Wasser- und Menükarten zum Opfer fiel.

Eine große Auswahl verschiedener Brotvarianten wurde angeboten. Die auf den ersten Blick scheinbar zu klein geratenen „Brötchen“ erwiesen sich in der Folgezeit als äußerst klug bemessen.

Mit dem ausgezeichneten Amuse-Gueule, das Fisch, eine Fleischpraline und Beilagen präsentierte, kehrte auch unsere Aufmerksamkeit zurück.

Zum ersten Gang: Gänseleber – Pfirsisch – Brioche.
Die hervorragende Gänseleber sorgte mit den koalierenden Pfirsischaromen für einen fulminanten Auftakt. Alleine die Architektur des Tellers steigerte die Stimmung. Die dazu gereichte Brioche, zart karamellisiert, ergänzte mit dezenten Röstaromen vortrefflich.

Carabinero – Aubergine – Artischocke.
Auch das Krustentier wurde optisch ansprechend angerichtet. Das dunkle „Bett“ wiederholte sich später nochmals und vermittelte durchaus den Eindruck eines „Waldbodens“. Beim noch folgenden Steinbutt deutlicher und wohl auch so beabsichtigt. Durch die Beilagen, die qualitativ eher eigenständig zu betrachten sind, ergab sich ein insgesamt stimmiges Gericht. Die dezent säuerliche Artischocke wurde durch die Aubergine angenehm neutralisiert.

Mit Jacobsmuschel – Kohlrabi – Aprikose wähnte man sich im Reich der Mitte.
Ying und yang gaben sich ein Stelldichein. Die großartig zubereitete Jacobsmuschel steigerte zwar den Geschmack der übrigen Komponenten, jedoch hätte sie bei etwas weniger Sud noch mehr glänzen können. Ohne große Kontraste verhielten sich die Süßaromen der Aprikose mit den sie umschmeichelnden Kohlrabinoten.

Steinbutt – Waldpilze -Brennessel.
Hier lohnt zunächst noch einmal ein Blick auf den Carabinerogang. Deutlich sieht man die Parallelen. Der Plattfisch, perfekt gegart hätte der würzig-salzigen Ummantelung nicht unbedingt bedurft. Deutlich ist zu erkennen, dass das klassisch anmutende Gericht eine moderne Interpretation erfahren hat.

Etouffée Taube – Petersilie – Trüffel.
Ein grandioser Gang. Allein der Anblick verzauberte. Die Taube ein wahrer Genuss. Gekrönt mit einem Wachtelei und Trüffel blieben geschmacklich keine Wünsche offen. Bei den Stationen, die Matthias Diether bisher durchlebt hat, liegt es nahe, seine Stilistik mit einem der Großen in Verbindung zu bringen. Immerhin konnte er Erfahrungen bei Lothar Eiermann, Harald Wohlfahrt, Dieter Müller und Sven Elverfeld sammeln. Doch hat er längst seinen eigenen Stil gefunden, wie die bisher genossenen Speisen zweifellos erkennen lassen.

Reh – Kürbis – Preiselbeeren.
Meine Empfindungen beim ersten Blick auf diesen Gang lassen sich vorsichtig mit „Erstaunen“ beschreiben. Die auf dem Fleisch verbröselten Salzstangen stellten für mich eine große Herausforderung dar. Gimmick oder eine ernsthafte kulinarischer Alternative?
Der Garpunkt des Fleisches überzeugte und der so erwartete Geschmack von Fleisch und Preiselbeeren versöhnte ob des ungewöhnlichen Anblicks. Gemeinsam mit dem in dieser Jahreszeit unverzichtbaren süsslichen Kürbis war es ein insgesamt sehr guter Gang, bei dem die Salzstangen nicht die befürchtete Dominanz einnahmen sondern sogar texturell aufwerteten.

Epoisses – Kirsche – Olive.
Der von Zisterziensermönchen irgendwann im 16. Jahrhundert erfundene deftige Kuhmilchkäse ergab einen gelungenen Käsegang. Wobei die rechts abgebildete Kugel das Wort deftig tatsächlich verdient hatte.


Ein weiterer Gruß aus der Küche als Einstimmung auf die Desserts.

Waldbeere – Rose – Sauerampfer – Kamille

Indian Summer

Die Desserts waren reichlich bemessen und von guter Qualität. Ausgezeichnete Waldbeeren, erfrischendes Eis. Abschließend glänzte Indian Summer mit geeistem Apfel mit Nußaromen und Marschmallows und knüpfte optisch an den Gang mit der Jacobsmuschel an.

Die Weinbegleitung:

2003 Vouvray, Domaine de la Haut Borne, Loire
2009 Sancerre, Comte Lafond, Loire
2002 Riesling Steinhaus, Weingut Hiedler, Kamptal
2008 Chablis Premier Cru Vaillon, Christian Monreau, Burgund
2007 Spätburgunder Kalmit, Weingut Kranz, Pfalz
2003 Chatea Beau Site Saint-Estephe, Bordeaux
1988 Riesling Kabinett aus der Doppelmagnum, Schloss Vollrads, Rheingau
2003 Wehlener Sonnenuhr Riesling Spätlese, Weingut Molitor, Mosel
Malvasia Dulce, DO Las Palma

Ein gut aufgelegter und auskunftsfreudiger Gunnar Tietz wusste zu jedem Gang einen passenden Begleiter auszuwählen. Wobei wir in den Genuß kamen, vom wohl besten Sommelier Berlins, Wein aus einer Doppelmagnum präsentiert zu bekommen, was an seine mittlerweile legendäre Big-Bottle-Party erinnerte.

FAZIT:

Wir erlebten einen spannenden, genussreichen Abend, in einem der sicher besten Restaurants in Berlin. Verantwortlich dafür auch Maître Marko Grundmann, der für einen ausgezeichneten Service sorgte. Eine inspirierte Küche, ein guter Service, ein herausragender Sommelier, machen Lust auf mehr.

Kommentare

Eine Antwort zu “first floor (*)”

  1. G+P Radusch sagt:

    Wir sind dort schon seit langem Stammgäste und können diesem Artikel deshalb mit !!! zustimmen.

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