Kulinarischer Jahresrückblick 2016

2016

Sie mögen Lammfleisch aus Neuseeland oder Spargel aus Griechenland? Vielleicht Erdbeeren aus Südafrika oder darf es Rind aus Argentinien sein?
Schämen Sie sich!
Machen Sie Schluss mit dem offensichtlich ökologischen Unsinn und ernähren Sie sich politisch korrekt saisonal und vor allen Dingen regional.
Nun gut. Die Gras- und Steppenlandschaften Argentiniens kann man auch als Region bezeichnen. Doch merke: Region ist nicht gleich regional. Oder vielleicht doch. Egal, hier geht es um regionale Produkte oder besser ausgedrückt, heimische Produkte.
Ja, das ist es. Regional bedeutet heimische Produkte. Heimat. Nähere Umgebung. Kurze Transportwege schonen die Umwelt. Denken Sie an Ihren ökologischen Fußabdruck.

Und wenn Sie ein regional ausgerichtetes Restaurant besuchen wollen, müssen Sie nicht nach Nordeuropa reisen (Sie wissen schon: Fußabdruck), dann empfehle ich Ihnen eine Reise nach Berlin. Dort finden Sie ausreichend Studienobjekte und erfahren wie saisonal und regional interpretiert werden muss.

Und wenn Sie trendy sein wollen, wer will das nicht, rate ich zu „Casual fine dining.“
Manche glauben, das ist der letzte Schrei. Gibts aber schon etwas länger. In Berlin sind Sie damit voll im Trend. Der Berliner mags halt etwas schlichter, etwas einfacher.
Positiv ausgedrückt: Etwas bescheidener. Genau. Die Berliner*innen (die Schreibweise habe ich aus dem Koalitionsvertrag der neuen Berliner Koalition übernommen) sind bescheiden. Arm aber sexy. Na ja, mehr arm als sexy.

Casual fine dining scheint auch in zunehmendem Maße den Guide Michelin zu inspirieren. Darunter wird man demnächst wohl den Begriff „Sternerestaurants“ subsumieren.
Der Mangel an „Gourmettempel“, der Mangel an Gästen die eine Haute cuisine überhaupt noch verstehen können, die Hinwendung der Fertigpizza- Currywurst- und Dönergeneration zu Restaurants ohne Tischdecken, zu Sommeliers, die an jedem Tisch dasselbe runterbeten und Köche, die neben solidem Handwerk kaum noch etwas aufzuweisen haben, wird auf Dauer die Wohlfahrts, Thieltges und Erforts dieses Landes ersetzen. Eine fürwahr düstere Vorstellung.

Und wenn Sie nun glauben der Hinweis, dass die meisten Gäste die Haute cuisine überhaupt nicht mehr verstehen, sei eine unangemessene Publikumsbeschimpfung,
den verweise ich gerne zu den renommierten World Travel Awards, die erst kürzlich die
„World’s Leading Culinary Destination 2016“ kürten, nämlich zum fünften Mal in Folge Peru. Zum fünften Mal in Folge. Bei allem Respekt vor der peruanischen Kochkunst, die ich erst kürzlich selbst erleben durfte, wer soll das alles noch ernst nehmen. So und nur so wird verständlich, dass Leute glauben den Sternenhimmel gesehen zu haben, wenn Sie in einem Einsterner ein Kohlblatt mit Dip verspeist haben. Wobei ich nichts gegen die Heilkraft von Kohl vorbringen möchte.

Und wer nicht genau einordnen kann, was saisonal bedeutet oder wann für dieses oder jenes die Saison angebrochen ist, der wird schlauer mit dem „Utopia-Saisonkalender“.
Sie finden diesen unter https://utopia.de/ratgeber/der-utopia-saisonkalender/
Und nein, ich verdiene nichts bei dieser Empfehlung.

Die von mir besuchten Restaurants finden Sie auf meinem Blog, eventuell auf meiner Facebookseite oder garnicht, wenn es sich wirklich nicht gelohnt hat. Was im Übrigen äußerst selten vorkommt. Etwas positives findet sich immer. Fast immer.

Gerne würde ich Ihnen ein von mir in Deutschland besuchtes Restaurant besonders empfehlen. Allerdings komme ich zu einer wundersamen Erkenntnis: Ich könnte Ihnen jeden Tag ein anderes Restaurant empfehlen. Es ist tatsächlich so. Sobald ich mich festgelegt habe, fällt mir etwas anderes ein. Und das ist die eigentliche Stärke deutscher High-End-Food-Restaurants. Es macht keinen Sinn, sich etwas herauszupicken. Es gibt einfach zu viele tolle und gute Restaurants. Für jeden etwas.
Und gerade jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, fällt mir etwas unbedingt Erwähnenswertes ein.
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The Table in Hamburg. Kevin Fehlings „Thekenrestaurant“. Ich befürchte, diese Bezeichnung wird ihm nicht gefallen.
Noch weniger wird ihm gefallen, dass ich über seine Kochkunst an dieser Stelle überhaupt nicht reden (schreiben) möchte. Das habe ich so oft getan und werde es wahrscheinlich auch im nächsten Jahr wieder tun.

Doch gehört es in diesen Jahresrückblick alleine schon deshalb, weil mit David Eitel einer der besten Sommeliers Deutschlands dort anzutreffen ist.
OK. Weine aufzuploppen und Tröpchen in überschaubarer Anzahl in ein großes Glas zu füllen, schaffen auch andere. Den richtigen Tropfen passend zu den Speisen auszuwählen scheint etwas schwieriger, doch ist auch dies zu schaffen. Das machen, versuchen, alle Sommeliers. David Eitel jedoch, gelingt dies mit spielerischer Leichtigkeit, mit großer Freundlichkeit, mal zurückhaltend, mal bestimmt, immer jedoch trifft er den richtigen Ton. Er weiß, wann er den Gast fordern muss und wann er den Gast alleine lassen muss. Er analysiert die Speisen, er analysiert die Weine und wenn man manchmal sein verschmitzes Lächeln erhascht, scheinbar auch den Gast.
David Eitel ist unser Sommelier des Jahres!

Damit Sie nach meinem Eingangsstatement nicht der irrigen Auffassung erliegen, ich sei bei regional und saisonal ausgerichteten Restaurats der Casual-fine-dining-Kategorie in eine Art Abwehrstellung gegangen, möchte ich Ihnen ein positives Beispiel geben:
Einsunternull, Berlin.

andreas-rieger
Andreas Rieger bei der Michelin-Pressegala am 1. Dezember 2016 in Berlin.

Dort schnippelt, mariniert, ja fast möchte ich sagen, dort kocht Andreas Rieger deutlich auf Sterneniveau, was ich narürlich schon im Sommer vorausgeahnt habe. Er behandelt seine Produkte mit großer Sorgfalt und begeistert mit kreativen Einfällen.
Das einsunternull ist unsere Überraschung des Jahres!

Natürlich waren wir auch wieder in Paris.
Im Vorfeld der Parisreise war ich nicht sicher, ob sich eine weitere Reise lohnt, ob man noch etwas Neues geboten bekommt oder ob man in der klassischen Routine erstarrt, die in Pariser Restaurants so alltäglich ist.

Im Theater und der Oper wird eine Geschichte erzählt. Darsteller, Kostüme und Bühnenbilder unterstützen diese Geschichte. Man taucht in die jeweilige Handlung und ihre Zeit ein und freut sich oder leidet mit den Charakteren. Das Erschaffen real wirkender Welten ist im Film deutlich besser nachzustellen. Das Prinzip ist aber immer das gleiche. Beim klassischen Bühnenstück und beim modernen Film. Beides hat seine Berechtigung und wir können wunderbar auswählen was wir wollen. Was zu uns passt. Mal Film, mal Bühne.

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Canard croisé de Challans, frotté d’épices / roti, peches jaunes et blanches, réduction d’une sangria aus dem Restaurant L’Abeille.

Beim Essen verhält es sich nicht anders. Verschiedene Stilrichtungen konkurrieren mit- und gegeneinander. Auch hier wählen wir aus. Man kann stur in einer Richtung denken oder sich einmal von einem Avantgardisten verwöhnen lassen und an einem anderen Tag der Klassik frönen. Wenn Sie nun wissen wollen, wo man die unverfälschte Klassik noch antreffen kann, rate ich zum Restaurant L’Abeille in Paris, wo Christophe Moret der Klassik huldigt und dem Zeitgeist nur wenig Raum bietet. Hinzu kommt das Ambiente des Restaurants, welches Eleganz und Zweckmäßigkeit vereint.
Das Restaurant L’Abeille ist unser Restaurant des Jahres!

Damit möchte ich den Teil „Jahresrückblick“ abschließen. Die Zukunft ist von viel größerer Bedeutung. Auch in Zukunft werde ich, werden wir, von Restaurantbesuchen berichten, damit Sie eine Orientierungshilfe für Ihre Restaurantwahl haben.
Wie bisher, werden Sie genau hinschauen, lesen und verstehen müssen. Vermeintliche Entscheidungserleichterungen anhand von Punkten, Löffeln, Pfannen, Bestecken, Bernies oder Steinmänner dürfen Sie nicht erwarten.

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