Der Gemüsekoch
Meiner Meinung nach…
… müsste Ihnen in den letzten Jahren bei Besuchen in der Spitzengastronomie ein neuer Trend aufgefallen sein.
Nein, gemeint sind nicht die Segnungen der Molekularköche oder Avantgardisten, wie sie sich selbst so gerne nennen. Gemeint ist auch nicht die Tatsache, dass man mittlerweile in fast jedem Menü ein Ei verzehren muss. Es geht um die neue Hinwendung zu Gemüse.
Gemüsesorten, alte wie neue, scheinen die Spitzenküchen dieser Welt zu erobern.
Waren sie eigentlich je daraus verschwunden?
„Gemüseköche“ schlagen uns in ihren Bann. Vegetarier aller Länder vereinigt euch.
Was aber zählt eigentlich alles zum Begriff Gemüse? Was ist Obst?
Natürlich könnte man dies nun streng wissenschaftlich aufarbeiten und etwas von Pflanzen und Blüten erzählen und alle essbaren Teile einzeln aufzählen.
Wahrscheinlich haben Sie darüber ausreichende Kenntnisse. Oder machen Sie sich den Spaß und versuchen einfach einmal Tomaten, Gurken, Melonen oder gar Erdbeeren in Zusammenhang mit Kohlrabi, Möhren, Spinat oder Brunnenkresse zu bringen.
Die ernährungsphysiologische Bedeutung von Gemüse, das Hohelied auf die Vitamine und Mineral- und Ballaststoffe, darf in diesem Zusammenhang als gegeben vorausgesetzt werden. Die gehobene Gastronomie, nicht nur in Deutschland, erhöht den Anteil von Gemüse in den Menüs. Dies wird nicht nur an der Zunahme rein vegetarischer Menüs erkennbar, welche zunehmend Eingang in die immer kleiner werdenden Karten finden. Es wird vor allen Dingen dadurch deutlich, dass vegetarische Gänge in einem Menü einen immer höheren Stellenwert einnehmen. Der Gast, dieser Eindruck verfestigt sich, nimmt dies freudig an.
Konnte man anfangs noch der schelmischen Vermutung erliegen, preiswerte Produkte, zielsicher eingesetzt, sollten die Gewinnmargen erhöhen bzw. das Defizit etwas auffangen, so scheint sich heute durchzusetzen, dass Gemüse wieder wertgeschätzt wird und eine kreative Zubereitung zu durchaus sensationellen Ergebnissen führen kann.
Gemüse ist für eine ausgewogene Ernährung von hoher Bedeutung. Die Entwicklung von der Heilpflanze zum Nahrungsmittel ist längst nicht abgeschlossen. Kontrolliert ökologischer Anbau, Biosiegel, Genveränderungen, Beilage oder Grundnahrungsmittel, frisch oder tiefgefroren, Vegetarier, Veganer, alles derzeit brandaktuell.
Die Hochküche schließlich hat sich damit, meiner Meinung nach, lange Zeit schwer getan. Ob Nouvelle Cuisine, französische Klassik, spanische Avantgardisten oder deutsche Spitzenköche, schon immer mussten die Küchenchefs neue Strömungen und Stilrichtungen einbeziehen und fortentwickeln. Vegetarische Menüs, eine Steigerung des Gemüseanteils in der Speisenkarte, sind heutzutage nahezu überall zu erkennen. Ja, sogar sogenannte „Gemüseköche“ sind auf dem Vormarsch. In Berlin z. B. hat Michael Hoffman im Restaurant Margaux reichlich Anerkennung für seine „neue“ Küche erhalten. Dass das Margaux im nächsten Jahr schließen wird, wird vielerorts mit Bedauern zur Kenntnis genommen. Seit vielen Jahren schon baut Rainer-Maria Halbedel für sein Sternerestaurant in Bonn-Bad Godesberg das Gemüse selbst an. Und in Paris begeistert Alain Passard Abend für Abend seine Gäste mit überwiegend vegetarischen Kompositionen.
2001 beschloss Alain Passard, den vegetabilen Elementen seiner Küche neuen Raum zu geben. Die Entscheidung, künftig kein Fleisch mehr zubereiten zu wollen, ist allerdings so nicht getroffen worden. Es wird noch immer, wenn auch in zurückhaltendem Maße, angeboten. Tatsächlich aber verstärkte sich sein Interesse zunehmend auf Gemüse, welches er mittlerweile an drei Standorten selbst anbaut.
Seine Hinwendung zu mehr Gemüse ist aber nicht der Tatsache geschuldet, dass er sich, wie es heute floskelhaft so gerne heißt „neu erfunden hat“, sondern ist vielmehr eine logische Weiterentwicklung in seinem kreativen Schaffen.
Ein Beispiel von meinem letzten Besuch in Paris (https://www.bsteinmann-gourmet-unterwegs.de/arpege#more-2565) soll dies verdeutlichen.
Spargel, in der Pfanne leicht angebraten, bissfest, mit einer angenehmen Würze ausgestattet und als „Bild des Gartens an diesem Morgen“ annonciert, war einer der Höhepunkte des Menüs. Zur bereits erwähnten Würze des Gerichts gesellte sich ein leicht nussiger Geschmack von kultiviertem Lattich. Dazu gab es einen Sud von grünem Salat, etwas Koblauch und Radiccio. Dies zeigt, dass die vegetabilen Kombinationen in der Spitzengastronomie nicht nur ihre Berechtigung haben. Es wird hier besonders deutlich, welcher Küchenchef in der Lage ist kreativ und einfallsreich, hochwertige Speisen zuzubereiten ohne sich ausschließlich auf Luxusprodukte verlassen zu müssen und zu wollen und somit die immer gleichen Produkte in einem Menü zu präsentieren.
Dabei kommen Alain Passards Kreationen gänzlich ohne effektheischende Inszenierungen aus. Der Geschmack, die sauber herausgearbeiteten Aromen, die wie zwangsläufig passenden Kombinationen und das immer wiederkehrende Spiel mit Temperaturen und Akkorden, verweisen auf die Genialität und Kreativität des Gemüsekochs.
Als Vegetarierin finde ich diesen Trend natürlich super!
Dann bleibt es mir immer öfter erspart, auf die Salatkarte auszuweichen.
Aber eigentlich zaubern die meisten Köche gerne mal was vegetarisches.
LG