Die neueste Ausgabe des Guide Michelin für Frankreich, die erste unter dem neuen Chef Gwendal Poullennec, hat enorme Aufmerksamkeit erregt. Die Abwertung von Restaurants mit drei Michelinsternen hat dem Guide reichlich Kritik eingebracht. Von mangelhafter Balance war gar die Rede. Natürlich wurde auch der schon etwas ältere Vorwurf hervorgekramt, dass der Michelin kulinarische Trends in Asien und den USA der französischen Küche gegenüber bevorzugt.
Hinzu kommt, dass die großen Guides, die in den Achtziger- und Neunzigerjahren besonders gefragt waren, auf neue Konkurrenten trafen. Internationale Listen wie „50 Best Restaurants“ erfreuen sich einer wachsenden Schar von Interessenten. Gourmetblogs und Foodblogger haben ebenfalls die Aufmerksamkeit auf die Restaurants deutlich verstärkt und dienen trotz oftmals knapper Beschreibungen durch schicke Fotos vielen Gourmets als Auswahlhilfe.
Die Unruhe die der Guide France in die Szene brachte, übertrug sich natürlich auch auf Deutschland, schließlich war die neue Ausgabe bereits überfällig.
Gestern nun war es endlich soweit. Der Guide lud zur Gala in das Motorwerk Berlin und präsentierte seine Entscheidungen für 2019. Fast konnte man die Spannung mit den Händen greifen. Schnell war vergessen, dass „Sterne nicht alles sind, sondern die Zufriedenheit des Gastes viel wichtiger ist“.
Nach einer Autofahrt von einer quälenden Stunde kam ich endlich am Motorwerk an und schon wartete die erste Überraschung auf mich und die geladenene Presseschar. Wieder einmal wurden die Ergebnisse gespoilert, die Bemühungen des Veranstalters um Geheimhaltung durchkreuzt. Die Sperrfrist wurde kurzerhand aufgehoben, die Show konnte beginnen.
Pascal Couasnon, CEO Michelin Food und Travel (© Bernhard Steinmann)
Gwendal Poullennec war leider erkrankt und wurde kompetent von Pascal Couasnon, CEO Michelin Food und Travel, vertreten.
Da die Ergebnisse nun hinlänglich bekannt sind, konzentriere ich mich auf einige Auffälligkeiten.
Ehrengast Kevin Fehling. (© Bernhard Steinmann)
Die Abwertungen waren bei weitem nicht so hart wie in Frankreich, dennoch hat es einen der besseren Köche erwischt. Jörg Sackmann aus Baiersbronn, häufig im Fernsehen zu bewundern, hat einen Stern verloren. Das mag man bedauern und in nächster Zeit intensiv diskutieren, doch bin ich sicher, dass man die richtigen Lehren daraus ziehen wird.
Der Stern geht dem Gourmetdorf allerdings nicht gänzlich verloren, denn Florian Stolte aus der Köhlerstube, eines der Restaurants der Traube Tonbach, konnte einen Stern erkochen. Gemeinsam mit den drei Sternen der Schwarzwaldstube unter der Leitung von Torsten Michel ist dies ein ganz tolles Ergebnis.
Bei den Restaurants mit drei Michelinsternen tat sich nichts. Es gab keine Veränderungen. Dies darf man entweder als Erhalt großer Klasse werten oder als Stagnation kreativer Köche, die den Abstand zur Spitze anscheinend nicht verringern können. Zu Berlin sage ich in diesem Zusammenhang lieber nichts mehr. Woher die neue Bescheidenheit kommt, kann ich nur erahnen. Ich glaube, der Bau des Hauptstadtflughafens macht demütig.
Was allerdings die Breite der Berliner Sterneköche angeht, so ist die Hauptstadt gut vertreten.
Von links nach rechts: Sauli Kemppainen, Dalad Kambhu, Dylan Watson-Brawn
Es gibt vier neue Sterne für Berlin:
CODA Dessert Dining, René Frank
Ernst, Dylan Watson-Brawn (darüber gibt es in Kürze einen Restaurantbericht)
SAVU, Sauli Kemppainen
und eher überraschend:
Kin Dee, Dalad Kambhu endlich mal wieder eine Frau.
Bei den fünf neuen Zweisternern handelt es sich um:
Purs – Andernach, Christian Eckhardt
Sosein – Heroldsberg, Felix Schneider
Ox & Klee – Köln, Daniel Gottschlich
Luce d’Oro – Krün, Christoph Rainer
Alexander Herrmann by Tobias Bätz – Wirsberg
Herzlichen Glückwunsch an alle ausgezeichneten Restaurants, insbesondere an meine Favoriten „Ernst“ und „Sosein“.
Nicht immer verderben viele Köche den Brei. (© Bernhard Steinmann)
Bleibt festzuhalten, dass der Sterneregen über Deutschland einem Meteoritenregen gleicht. Kein Dorf zu klein, kein Konzept scheint zu gewagt. 309 Sternerestaurants gibt es nun im Land und im nächsten Jahr wird die Zahl weiter steigen.
Die Szene verändert sich stark. Der Gast geht nicht mit, eher glaube ich dass er einfach geht und neue Gäste mit eigenen Vorstellungen, was eine Spitzengastronomie ausmachen könnte, bevölkern die Restaurants.
Was ich im letzten Jahr so alles an Gästeniveau an Nachbartischen erlebt habe, stimmt mich nicht froh. Da werden Brote geschmiert wie beim Frühstück, so mancher scheint noch nie ein Weinglas am Stiel angefasst zu haben. Dann darf man auch als Küchenchef „den Stern zurückgeben“ wollen. Es kommt ja nicht mehr darauf an.
Dennoch: Die Küche lebt und verändert sich, das Streben nach Exzellenz bleibt. Für aufgeschlossene Menschen passen Sterne und Casual Fine Dining durchaus zusammen.
Es darf natürlich nicht unerwähnt bleiben, dass Markus Semmler für das Catering verantwortlich zeichnete und ein wirklich sternewürdiges Menü kreierte.
Beispielhaft möchte ich die Vorspeise nennen:
Ungestopfte Gänseleberterrine, Périgord Trüffel, Apfel.
Toll.
Auch dieses Jahr werde ich für Sie berichten und Ihnen vor allen Dingen die neuen Sternerestaurants vorstellen. Freuen Sie sich darauf.
Danke für den sachlichen und unaufgeregten Bericht – eine Seltenheit in der „Food Blogger Szene“.
Ich freue mich auf das Kommende.
Danke für den freundlichen Kommentar.
Ich möchte mich den Worten von Herrn Pfaffendorf anschliessen. Ihrer Beurteilung möchte ich hinzufügen, dass mir, was Ihre Beobachtungen an Nachbartischen betreffen, ähnliches auch bereits begegnet ist und ich den Eindruck hatte, dass es den Gästen nicht um das Geniessen an sich ging, sondern um das sich in einem Restaurant befinden, welches prominent genug ist, um damit in den sozialen Medien „aufzutrumpfen“.
Zudem meine ich, dass es unterhalb des Radars auffallend viele gute Restaurants gibt und insgesamt das Niveau in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren merklich gestiegen ist. Wir sollten es positiv sehen 😉