Ein gutes Jahr ist nach unserem letzten Besuch im Restaurant Tim Raue vergangen. Zeit für ein Update. Raues Flaggschiff, 2 Michelinsterne und 19 Punke bei Gault&Millau, in der Berliner Rudi-Dutschke-Straße ist auch an diesem Abend gut besucht.
Und wie zuletzt, ist auch diesmal Tim Raue nicht anwesend. Vor einem Jahr nahm ich dies zum Anlass, Christian Singer zu würdigen, der seine Sache immer sehr gut gemacht hat, allerdings nun in Dubai seine Kochkünste zeigt.
Die Küchenleistung, soviel darf ich an dieser Stelle vorwegnehmen, war erneut tadellos. Die verantwortlichen Köche kann ich an dieser Stelle nicht benennen. Weder Namen, noch Werdegang. Doch die Tatsache, dass anscheinend weder Raue noch Singer benötigt werden um das gewohnte Niveau zu halten, provoziert Fragen. Sind Raues Vorgaben so enorm präzise, dass jeder in der Küche einspringen kann? Sind die Gerichte zu simpel konzipiert? Kann ich es selbst einmal versuchen? Nun, einige Gerichte gibt es ja schon länger auf der Karte, hier bewegt man sich auf ausgetretenen Pfaden. Ich gehe mal davon aus, dass die Planungen neuer Kreationen und deren fundierte Vorbereitung Tim Raue vorbehalten ist.
Wenden wir uns lieber den Speisen zu.
Von den Amuse Bouches habe ich zwei für Sie ausgesucht:
Marshmallows mit Ananas, Chips und Gelee
Salatherzen mit Jalapenovinaigrette
À la carte geht es weiter.
Jakobsmuschel
Holunderblüte & Grüner Thai Pfeffer
Gebeizte und gedämpfte Jakobsmuscheln, Sud von Holunderblüte und Reisessig, Grüne Melone, grüner Apfel und Gurke, Zitronengras, Cordifole
Cordifole, ein Salatkraut, ist in französischen Restaurants eher zuhause als in Deutschland. Der sogenannte Herzblattsalat ist einfach im Topf zu ziehen, die Blätter schmecken säuerlich, salzig.
Kaisergranat
Wasabi, Kanton-Style
Sud von Fischsauce, Mango und Karotte, Kaisergranat in Stärke eingelegt, im Wok gebacken und mit Wasabi-Mayonnaise mariniert und frittierter grüner Reis
Sehr würzig, deutliche Schärfe und ein auffälliges Texturenspiel. Es ist knusprig, bissfest und doch zart. Innen heiß, außen kalt. Die Wasabi-Mayonnaise ist grandios. Der kleine Teller ist voller Gegensätze, die im Zusammenspiel ein unglaublich komplexes Gebilde ergeben.
Spanferkel
Dashi, Japanischer Senf
Berliner Eisbein vom Spanferkel, Creme von japanischem Senf, junger eingelegter Ingwer, Dashi Gelee
Natürlich könnte man auf die Idee kommen, in diesem Gericht eine moderne Variante eines Klassikers zu sehen. Das Spanferkel steht für die Klassik und der Rest bildet den modernen Mantel. Eine Zielrichtung, die man häufig in Restaurants erlebt. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass es einem kreativen Geist wie Tim Raue mehr um die Fusion geht, die Verbindung von einem traditionell zubereiteten Gericht (Berliner Eisbein) mit asiatischen Einflüssen. Wobei ich den Ingwer nur teilweise als asiatisch vereinnahme, da dessen Verbreitungsgebiet mehrere Kontinente umfasst.
Ein tolles Gericht, dominiert von japanischem Senf und Ingwer.
Waren zum Start des Abends noch Essstäbchen für die Nahrungsaufnahme ausreichend, wurde nun zum Spanferkel auf größere Geschütze zurückgegriffen.
Zum Einsatz kam ein B-05 CHROMA Haiku Kurouchi Tosa Ko-Yanagi Allzweckmesser, welches bei Tim Raue als Steakmesser zum Einsatz kommt. Ich erwähne es deshalb, da es sich hierbei tatsächlich um etwas Besonderes handelt. Die Klinge ist 10,5 cm lang, nicht rostfrei, mächtig scharf und steckt in einem Griff aus schwarz lasiertem Magnolienholz. Das auf traditionelle Weise in Japan handgefertigte Messer mit 3 Lagen Stahl und beidseitigem Schliff kostet ca. 200 €. Sie sehen, Raue hat nicht nur asiatische Aromen und Rezepte im Blick, sondern auch das richtige Werkzeug im Angebot.
Hochwertige Messer sind allerdings aus der deutschen Hochküche nicht wegzudenken.
Bettlerhuhn
Lotusblatt, Feldsalat
Perlhuhnkeule im Lotusblatt gebacken, Vinaigrette von Lotusblattöl und Reisessigsud, geräucherte Chili, Feldsalat und Feldsalatsaft, Topinamburschale, Creme und confierte Pilze, Rettich in Reisessigsud eingelegt
Dim Sum Schwarzer Trüffel
Prik Nam Pla, Haselnuss
Reisteignudeln, Entenrahmsauce mit schwarzem Trüffel und gegrillter Entenlunge, eingelegte Trauben, Öl und geriebene Haselnüsse, Prik Nam Pla Gelee
Dim Sum heißt im Wortsinne „das Herz berühren“. Die Spezialität der kantonesischen Küche wird hier natürlich neu interpretiert. Der „Snack“ wird zum Hauptgericht. Rein optisch hat mir die Kreation nicht zugesagt, mein Herz wurde nicht berührt. Texturell würde ich zur von Tim Mälzer geprägten Bezeichnung „schlotzig“ tendieren. Geschmacklich allerdings ist das Gericht mit seinem vollmundigen Aroma bestens gelungen. Das hat schon was.
Dazu trägt auch Prik Nam Pla bei, dem man bei einem thailändischen Essen kaum aus dem Wege gehen kann. Der allgegenwärtige Chili-Dip besteht aus Thai Chili (Prik) und Fischsauce (Nam Pla).
Quitte
Macadamia Nougat, Passionsfrucht
Mousse von Zotter Macadamia Nougat, Macadamia Karamell-Röllchen, eingemachte Quitte mit Passionsfrucht und Safran, Gelée von Quitte und Safran, Quittensorbet
Granny Smith Apfel
Koriander, Guanaja Schokolade 70%
Granny Smith Apfel als Eis, mit Limette und Ingwer eingelegt, Creme von Guanaja Schokolade 70%, Guanaja Chips mit Korianderkörnern, Honig-Essig-Sud, Sakegelee, Korianderkresse, Kakao-Puffreis-Crisp
Ein Auszug der Weinbegleitung:
Champagne Egly-Ouriet, Brut Tradition Grand Cru
2014, Es ist wie es ist, Cuvée Nr. 4, Horst Sauer und André Macionga, Franken
2010, Wehlener Sonnenuhr, Spätlese, Joh. Jos. Prüm
2013, botani, 100% Moscatel Seco, Jorge Ordoñez & Co
2014, Newton, unfiltered Chardonnay, Napa Valley
André Macionga hat uns erneut mit seiner Weinbegleitung verwöhnt. Der Service, von ihm kaum merklich dirigiert, ist professionell und freundlich wie eh und je.
FAZIT:
Tim Raues Kreationen sind stilistisch nicht immer einfach einzuordnen. Natürlich asiatisch. Chinesisch? Japanisch? Thailändisch? Ich würde in Asien nicht danach suchen. Raue mischt munter Regionen, Länder und Kontinente. Manches mag herausfordernd erscheinen, wahrscheinlich ist es so gewollt. Langeweile jedenfalls kommt in dieser Küche nicht auf.
Wann immer wir hier waren, was immer wir gegessen haben, jedesmal schreit es nach einer Wiederholung.
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