Restaurant Tim Raue (**)

Eingang-II

Hätte Berlin, wie beispielsweise Hamburg, ein Dreisternerestaurant, so müsste man nicht lange überlegen wo ein Tisch reserviert werden sollte um höchste Küchenleistungen erwarten zu können und im Genuss zu schwelgen. Doch die Hauptstadt macht es Gourmets nicht leicht. Auf Anhieb fallen mir drei Adressen ein, die diese Erwartungen erfüllen könnten. Bei intensiverem Nachdenken verlängert sich gar die Liste. Die Qual der Wahl wird um verschiedene Stilrichtungen erweitert.

Doch es gibt Entscheidungshilfen. Wie etwa meinen Blog. Oder Restaurantführer.
Wer sich an Restaurantführern orientieren möchte, schaut bestimmt auch in den Gault&Millau Deutschland. Dort sprechen aktuelle 19 Punkte für das Restaurant Tim Raue. Hinzu kommen zwei Sterne vom Michelin und die Auswahl ist getroffen.

Restaurant Tim Raue. Die scheinbare Schlichtheit der Namensfindung ist schon lange üblich. Bei den zuletzt von mir besuchten Restaurants war die Verwendung des Chefnamens bereits auffällig. Anscheinend orientiert man sich in der Spitzengastronomie an den Talkshows im deutschen Fernsehen. Dort ist der Name der Moderatorin oder des Moderators schon längst Programm.
Wobei natürlich auch nicht übersehen werden darf, dass der Name des Küchenchefs oder der Küchenchefin Persönlichkeit ausstrahlt und Wärme und Wohlbefinden vermitteln kann. Also doch nicht so schlicht.

Jeder der sich für die Spitzengastronomie in Deutschland interessiert, hat schon von Tim Raue gehört. Das internationale Publikum zeugt von einem weit größeren Bekanntheitsgrad. In der Liste der 50 besten Restaurants, die tatsächlich 100 Restaurants auflistet, rangiert Raue bereits auf Platz 52. In diesem Jahr erwarte ich ein noch besseres Ergebnis. Raues Werdegang, frühere Stationen, Veränderungen in der Küchenphilisophie und so weiter kann ich mir daher an dieser Stelle getrost ersparen.

Das ist kein Desinteresse an der Person Tim Raues. Denn ob man will oder nicht, wird man mit Informationen über Raue geradezu gefüttert. Immer neue Namen von Restaurants, Kooperationen oder kulinarischen Konzeptionen werden bekannt. Seine Omnipräsenz in den Medien hält ihn im Bewusstsein der Gourmets.
Kleinere Fehlgriffe, wie die Bemerkung im Gespräch mit der ZEIT: „Ich könnte einen Teller Luft für 80 € verkaufen,“ sind dabei eher einem etwas eigenartigen Humor zuzuschreiben.

Mein Interesse gilt jedoch nicht den Nebensächlichkeiten sondern dem Koch Tim Raue. Seiner fast unbändigen Kreativität, seinem Gespür für Zutaten, Kombinationen und Verbindungen, seinen Geschmackskompositionen, seinen teilweise komplizierten Gängen und seiner unglaublichen Leichtigkeit auf den Tellern.
Die Ernsthaftigkeit und Perfektion seiner Kreationen hat fast Wohlfahrtsche Ausmaße angenommen.

Erneut findet unser Besuch in Abwesenheit Tim Raues statt. Die Abwesenheit des kreativen Vordenkers würde ich bei so manchem Restaurantbesuch mit Bedenken quittieren. Doch hier in der Rudi-Dutschke-Straße kommen bei mir keinerlei Zweifel auf. Mit großer Vorfreude begebe ich mich in die Hände von Christian Singer, der in Abwesenheit des Chefs genauso qualitätsorientiert arbeitet wie in dessen Anwesenheit. Dabei ist nicht entscheidend, ob Singer mit eigener Handschrift die Küche beeinflusst. Tatsächlich ist dies völlig gleichgültig. Entscheidend ist, dass er die gemachten Vorgaben versteht und umsetzt. Das Ergebnis seines Schaffens kann sich jedenfalls sehen lassen.

Eingang

Es gibt leider keinen direkten Zugang von der Rudi-Dutschke-Straße ins Restaurant. Noch immer muss man durch einen ungastlichen Hofeingang in den Hinterhof. Und als wäre das nicht genug, wartet auch noch ein kitschig gestalteter Eingang auf uns.
Das Restaurant ist hell und unauffällig eingerichtet. Es strahlt Nüchternheit aus. Die Tische sind etwas zu klein.

Nach freundlichem Empfang und Einnehmen der uns zugewiesenen Plätze starten wir auch bald mit den obligatorischen Grüßen aus der Küche.

AB

Schweinebauch mit Chili und Sesam,
Kalbsherz mit Five-Spice-Gewürz,
geräucherte Makrele mit Rettich und Limette,
Shisoblatt mit Beef-Tea, Gurke und Sellerie,
Baby-Möhren mit Honig und Kreuzkümmel,
eingelegte Zucchini mit Matcha-Grüntee,
süß-saure Radieschen mit Miso-Mayonnaise und knuspriger Schweineschwarte,
Cashewnüsse, geröstet mit Thai-Curry.

Die kleinen Leckerbissen weisen bereits auf die asiatisch inspirierte Küche Raues hin. Dabei beschränkt er sich nicht auf ein Land, sondern bezieht verschiedene Länder und Stilrichtungen ein und schreckt auch vor dem alten europäischen Kontinent nicht zurück. Meiner Meinung nach, beherrscht Raue die Fusionsküche wie kaum jemand in Deutschland.

Kaviar

Imperial Kaviar
Sprotte, Yuzu

Baiser und Buttercreme von Sprotte, Kopfsalat, grüne Chili, Schale und Gelee von Yuzu, Sauerklee

Spargel

Weißer Spargel
Waldmeister, Jalapeno

Lauwarmer, gekochter weisser Spargel, frischer Waldmeister und Waldmeisterdressing, Jalapenogelee, Römersalat, Püree von weißem Spargel und Marukan Reisessig

Steinbutt

Steinbutt
Jade Sauce, Sansha Pfeffer

Gedämpfter Steinbutt, Zitronenverbene, Öl, Jade Sauce, Frühlingslauchpüree, Kapern, Perlzwiebeln, Dill und grüne Melone

Garnele

Garnele
Tomate, Galgant

Gebratene rote Garnelen, Mayonnaise von Garnelen und Räucherpaprika, Garnelenchip Baiser mit Shichimi tōgarashi, Kompott von Honigtomaten und Galgant, Thai Basilikum

Spanferkel

Spanferkel
Dashi, japanischer Senf

Berliner Eisbein vom Spanferkel, Creme von japanischem Senf, junger eingelegter Ingwer, Dashi Gelee

Dim-Sum-Ente

Dim Sum Ente
Schwarzer Trüffel, Haselnuss

Gebackener Brioche Dim Sum mit Entenklein und Entenleber, schwarzer Trüffel und Topinambur, rotes Chili Gelee, Haselnuss Mayonnaise und geröstete Haselnussscheiben, eingelegter Topinambur

Beef-I

Beef-II

Black Pepper Beef
Allium, P.X. Essig

Geschmortes Rippenfleisch in Beeftea Jus mit wildem Madagaskarpfeffer,
Gegenbauer´s P.X. Essig als Gelee, Allium: Weiße Zwiebelcreme, Schnittlauchblüten,
Perlzwiebeln in Portweinessig eingelegt, Zwiebelcrunch, Ofen-Schalotte

PE-II

PE-I

Peking Ente
Interpretation TR

Brust, Five-spice-Waffel, Apfel und Lauch, Jus von Entenfüssen.

Entenleberterrine und Mousse, Essiggurke, Lauch-Ingwerpüree.

Sud, Herz-Zunge-Magen, Wintermelone und Bambuspilz (o.Abb.)

Calpico

Calpico
Thompson Traube, Ingwer

Creme Chibaust und Baiser von Calpico, Sud, Gelee und ganze Thompson Trauben mit Ingwer, Goa Kresse

Aus gutem Grund habe ich diesmal darauf verzichtet, die einzelnen Gänge zu beschreiben. Die einzelnen Teile des Menüs sind dermaßen hervorragend, dass ich mich in Wiederholungen ergehen müsste.
Auffallend sind vor allem die verschiedenen Schärfegrade, die mal mehr, mal weniger nachhaltig sind. Die Aromendichte ist grandios. Nach meinem Empfinden gibt es auch keine Steigerungen oder Höhepunkte in dem Menü. Vielmehr erlebe ich ein gleichbleibend hohes Niveau.

Die Menüfolge ist allerdings schon etwas auffällig. Spanferkel, Ente, Black Pepper Beef und wieder Ente ist sicherlich etwas ungewöhnlich. Doch daran bin ich selbst schuld, denn ohne die Interpretation der Raueschen Peking Ente kann ich mir den Restaurantbesuch kaum vorstellen.

Einziger Kritikpunkt bleibt aus meiner subjektiven Sicht allerdings die Dim Sum Ente.
Beide fanden wir die gerösteten Haselnussscheiben als eindeutig verzichtbar. Die kernige Textur störte den positiven Gesamteindruck. Ich weiß, dass das ziemlich kleinlich klingt, doch erwähnen wollte ich es schon.

Wein und Service:

2010, Côtes du Jura, Domaine Macle,
2012, Botani, Moscatel Seco, Jorge Ordonez, Sierras de Málaga, Spanien,
2012, Moarfeitl, Sauvognon Blanc, Straden, Südoststeiermark,
2010, Sua Sponte, Domaine Élian da Ros, Frankreich,
2013, Newton, Unfiltered Chardonney, Napa Valley,
2011, Numanthia, Bodegas Numanthia Termes, Spanien, D.O. Toro,
1968, Rivesaltes Ambré « 47 ans » Domaine Vins Parcé Frères,
2008, Altenberg, Riesling Auslese, von Ozhegraven, Kanzem an der Saar

Die Weinbegleitung von André Macionga, so schwierig die Aufgabe auch ist, ist sehr gelungen. Die Weine passen zu den Speisen und, was eigentlich noch viel komplizierter ist, sie passen auch zum Gast. Chapeau!

Der Service insgesamt ist professionell, engagiert, schnell und freundlich.

FAZIT:

Tim Raues Stilistik bedient sich unterschiedlicher asiatischer Einflüsse.
Dabei scheint nicht die Region, derer er sich bedient, ausschlaggebend zu sein.
Vielmehr orientiert er sich am Geschmack. Die Art der Zubereitung, die Kombination verschiedener Zutaten, ein Spiel mit Schärfe und Würze, das herunterbrechen auf kontinentaleuropäische Gaumen, das macht den Besuch in seinem Restaurant so einzigartig.

Seine Gerichte sind unglaublich präzise ausgestaltet. Fast erkennt man den intellektuellen Eifer auf dem Teller. Und doch ist nichts so verkopft, dass man es nur mühsam entziffern kann. Die Küche hat alles bereitet. Man muss nur noch genießen.

Das Restaurant Tim Raue erreichen Sie unter diesem L i n k .

Kommentare

2 Antworten zu “Restaurant Tim Raue (**)”

  1. Michael sagt:

    Vielen Dank für diese ehrliche und fundierte Kritik. Das macht noch mehr Lust darauf, endlich mal einen Tisch dort zu reservieren!:)

  2. Heinz-Peter Koop sagt:

    Fantastisch.

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