Im Dreiländereck zwischen Frankreich, Luxemburg und Deutschland finden wir in Christian Bau, einen der kreativsten und handwerklich geschicktesten Köche Deutschlands. Stark inspiriert von japanischen Einflüssen und unter Verwendung bester Produkte, besticht er mit anspruchsvollem Tellerbild und ausgeprägtem Streben nach Perfektion und Präzision. Sein Spiel mit Kontrasten und eine deutlich herausgearbeitete eigenständige Handschrift, lassen keine Wünsche offen.
Im Norden Frankreichs gibt es ein interkratonisches Einsenkungsbecken, Pariser Becken genannt, welches sich ab der oberen Trias individualisierte und an dessen Rand, raumgeologisch gesehen, Nennig liegt. Doch genug des schwierigen Einstiegs.
Es ist ein weiter Weg von Berlin bis Perl-Nennig an der Mosel.
So weit, dass vier lange Jahre ins Land gingen, bevor wir uns wieder auf den Weg machten. Auf den Weg zu Christian Bau, hoch dekoriert mit drei Michelinsternen und 19 Punkten des Restaurantführers Gault Millau.
Bereits 2008 erlebten wir die eigenständige Handschrift von Christian Bau. Mittlerweile veränderte er sein Konzept durch die spannende und gelungene Einführung seiner Carte Blanche, die längst dem Experimentierstadium entwachsen ist und erfolgreich umgesetzt wird.
Sein Stil ist klar avantgardistisch, beständig nach vorne ausgerichtet ohne kurzfristigem Zeitgeist oder Trends zu erliegen. Einfacher ausgedrückt, könnte man auch das Wort „modern“ bemühen. Damit bricht er scheinbar, meiner Meinung nach, mit der Tradition der französischen Küche, dies jedoch nicht gänzlich. Dagegen erliegt er in zunehmendem Maße asiatischen, genauer gesagt japanischen Einflüssen. Es ist spannend zu beobachten, wie er alles miteinander zu verbinden sucht und mit großer Kreativität aber auch mit viel handwerklichem Geschick nach Perfektion strebt.
Neue Gäste sollen sich für seinen Stil begeistern und frühere Gäste sollen auf die Reise mitgenommen werden, was, so ist zu erfahren, durchaus gelingt.
Lange unterlag ich der Vermutung, das Konzept der Carte Blanche sei ausschließlich ein ökonomisches Prinzip. Ich gestehe, dass ich dies zunächst mit einiger Skepsis betrachtet hatte. Schnell wird jedoch deutlich, dass bei diesem Konzept beide Seiten gewinnen können. Der Koch, der beim Einkauf besser kalkulieren kann und der Gast, der sich bequem zurücklehnen und überraschen lassen kann. Zum eigenen Vorteil kann der Gast sich dabei auf etwas einlassen, was er, vielleicht auch in Unkenntnis des Produktes, nicht geordert hätte.
Das Restaurant im stilvollen Renaissance-Schlösschen ist in hellen Tönen gehalten (weiß und creme), ab und an ein roter Farbtupfer. Eher klein aber gemütlich, wird sofort eine angenehm freundliche Atmosphäre vermittelt. Dazu zählt insbesondere der herzliche Empfang durch die Servicechefin Yildiz Bau.
Doch bevor es soweit ist, muss man den beschwerlichen Weg über den mit paving stones ausgestatteten Hof bewältigen. Für Damen mit entsprechendem Schuhwerk, eine echte Herausforderung.
Voyage Culinaire. So überschreibt Christian Bau sein Menü.
Die kulinarische Reise hat mehrere Stationen und beginnt wie gewohnt mit den Amuse-Gueules.
Hier werden sie „Snacking“ genannt.
Snacking
Es sind nicht alle Küchengrüße abgelichtet. Doch meiner Chronistenpflicht möchte ich dennoch nachkommen. Um die zahlreichen Einzelheiten aufzuzählen, die ich mir alle nur schwerlich in so kurzer Zeit hätte merken können, bedurfte es der freundlichen Unterstützung einer reizenden Dame aus der Servicecrew. Ihr gilt mein besonderer Dank.
– Tartelette mit geräuchertem Schwertfisch, Spicy-Karotten-Ingwergelee, Karotten, Esspapier, Karottencreme, Avocadocreme, Erdnüsse,
– Cornet gefüllt mit Thunfischcreme, Tatar vom Kalb, gebackene Kaper,
– Kroepoek mit Fleisch von Krustentieren, Pomelogel und Pomelo „Kaviar“,
– weißer Reiscracker mit Lachs, Meerrettichcreme, Wakame-Alge, Nori-Algenjulienne,
– Rote Bete-macaron, Esspapier und roh mariniert, Entenleberterrine, karamellisierter Räucheraal,
– klare Tomatengazpacho und Tomatensorbet, Olivenspähren, Büffelmozzarella, Olivenbrotchip.
Die nächsten kulinarischen Köstlichkeiten tragen die Überschrift:
Micro Menü
Yellow-Fin-Tuna.
Dieser Fisch hat grundsätzlich festes Fleisch, das jedoch eher dezent im Geschmack ist.
Zubereitet wurde ein Tatar vom mittelfetten Thunfisch, auf der linken Seite des Bildes etwas Kaviar, dazu ein Avocadodip, Fromage Fraise, japanisches eingelegtes Gemüse, Radieschen, diverse Microkräuter. Ein geschmackvolles, buntes und frisches Erlebnis.
Gänseleber aus der Landes mit thailändischer Mango.
Das Département Landes liegt im Südwesten Frankreichs in der Region Aquitanien und ist die waldreichste Region Frankreichs.
Der Klassiker zur Gänselebeer, nämlich ofenfrische Brioche, durfte natürlich nicht fehlen. Madraspfeffer und grüner Matchatee und ein hervorragendes Gänselebereis vollendeten einen geschmacklich großartigen Gang.
Schottische Stabmuscheln,
(im Vakuum gegart), waren von angenehm milden Geschmack. Dazu kamen
schwarze Knoblauchperlen und marinierte Hijiki-Algen. Diese struppigen Braunalgen sind, soweit mir bekannt, besonders reich an Kalzium.
Ferner gab es geflämmten Kohlrabi, geeisten Kohlrabisaft, roh marinierte Kohlrabistifte und Vogelmiere. Gartenbesitzer sind allgemein von der Vogelmiere, trotz Heilpflanzenqualität, nicht so begeistert, da die Pflanze durch eine starke Vermehrung auffällt. Geschmacklich erinnert sie an jungen, rohen Mais.
Verfeinert wurde dieser Gang durch Sojasprossen, einer Vinaigrette aus Muschelsaft, Sojasauce und Misoöl.
Ich möchte an dieser Stelle gerne auch einmal auf das nahezu perfekte Handwerk hinweisen, das sich in allem Dargebotenen offenbart. Die Einschränkung „nahezu“ mache ich deshalb, um mich für alle Fälle nicht einer Steigerungsmöglichkeit zu berauben.
Begleitet wurden diese Gänge von einem 2010er Chardonnay »SJ« „Selektion Johner“.
Später gesellte sich ein spanischer Rotwein hinzu, an den ich mich leider nicht mehr erinnern kann. An anderer Stelle probierte ich einen Sake, an den ich mich nicht mehr erinnern möchte. Sake scheint sich nicht zu meinem Lieblingsgetränk zu entwickeln.
Wir verlassen das Micro Menü mit einem
lauwarmen Bioeigelb,
mit Rahmspinat, Essiggelee PX, herzaftem Schaum vom iberischen Schwein und Würfel vom gegrillten Secreto, Schnittlauch, Brotcrouton und Speckbrösel. Eine interessante, kreative und äußerst schmackhafte Präsentation.
Die „regulären“ Gänge, wenn man das überhaupt so nennen kann, starten mit einem Gericht, welches als Gemälde jede Galerie zieren würde.
„Japanisches Meer“
Welch ein Anblick. Eine grandiose Darstellung und Objektkomposition, ein gelungenes stilllebenartiges Arrangement.
Es ist kaum zu glauben, dass sich trotz der zahlreichen Komponenten nichts als verzichtbar erwies.
Rund um das Sashimi von Hamachi (Gelbflossenmakrele), mit Sepia (roh mariniert), angereichert mit Gartengurkensorbet, Gartengurkenpickles und marinierten Scheiben und Streifen der Gurke, offenbarte sich eine außergewöhnliche Aromatik. Grandios und zwar optisch wie geschmacklich, die falschen Muscheln von einer Miso-Yuzu-Canache (mit Maracuja). Weiter geht es mit geeisten Meerwasserperlen, Meeresträubchen, Tosakaalgen, Ponzugel, Kimizu (eine japanische Mayonnaise) und einer hellen Shisovinaigrette.
Dazu gab es eine japanische Essenz auf Basis von Geflügelfond mit Ingwer, Limone, Ginger Ale und Kafirlimonenblätter (ohne Abbildung.)
Für meine Frau, die sich nicht für den Hamachi entscheiden wollte, wurde Taschenkrebs gereicht.
Es gab eine Effiloge vom Taschenkrebs, kalt gezupft mit gebackener Krokette vom Taschenkrebs, ein Dashigelee, Enokipilze, Kimizu, mehrere Würfel von Wassermelone und Wassermelonensorbet.
Auch hier eine detailverliebte Kreation, die alle Sinne beanspruchte.
Der nach links immer dunkler werdende Teller, trübte den optischen Gesamteindruck.
Dennoch kamen alle Komponenten zur Geltung.
Bretonische Artischocke,
serviert in kleinen Röllchen, gefüllt mit Artischockencreme, dazu kandierte schwarze Oliven, zweierlei Chips, einmal von der Artischocke und einmal Chips von Jabugo Bellota.
Die Aufzählung wird vervollständigt durch Löwenzahn, Ruccola, diverse Microkräuter, Sud von Artischocke mit grünem kalifornischen Olivenöl (sehr schmackhaft) und schließlich Schaum von der Artischocke.
Eine interessante und leichte Kreation, die von einem Kräuter- und Bittersalat mit gebratenen Artischockenspalten, Parmesanhobel und Jabugo Bellota, eine köstliche Schinkenspezialität, begleitet wurde. Insgesamt blieb dieser Gang, für meinen Geschmack, leicht hinter den übrigen Kreationen zurück.
Blauer Hummer,
von erlesener Qualität und erstklassiger Zubereitung,
in Butter sanft pochiert, verfeinert mit Mini-Pak-Choi, Beurre Blanc (eine erfreuliche Anleihe an die französische Küche) mit Estragon, Strukturen vom Hokaido-Kürbis, Röllchen gefüllt mit Hummerbolognese, süß-sauer marnierte Scheiben, Creme vom Kürbis, Kürbiskernchips, Kürbiskerne souffliert, Kürbiskern-Chutney, Purple Curry mit Hibiskus und einem wirklich tollen Krustentierjus.
Beim Schreiben fallen die vielen Komponenten immer besonders auf. Wenn man sich aber das Ergebnis auf dem Foto anschaut, ist es doch nicht überladen.
Der Kürbis, eine Hommage an die Jahreszeit, fiel auf unterschiedliche Art und Weise auf. Mal süss, mal nussig, scheinbar dominierend und dann doch wieder dem köstlichen Hummer Platz lassend.
Seezunge vom kleinen Boot.
Der nachtaktive Einzelgänger und rechtsäugige Plattfisch wurde
zuerst pochiert und dann gegrillt. Perfekt gegart wurde er begleitet von rohen Fjörd-Shrimps, kleinen frittierten Shrimps, schwarz-weißem gepufften Reis und Edamame, einer japanischen Sojabohne, als ganze Bohne, als Creme und Röllchen, in Milchhaut gehüllt.
Komplettiert wird das Ganze mit einer Jasminreisbrühe mit leichter Kokosinfusion und Madrascurry.
Bei diesen komplexen Aromen dürfen wir auf die sich überlagernden Geschmacksempfindungen hinweisen, die gerne auch einmal als Akkorde bezeichnet werden. Man muss das selbst gekostet haben um es besser zu verstehen.
Dreierlei vom Pommern Rind.
Ich gestehe, ich bin ein großer Freund von „Dreierlei“, „Viererlei“ oder „Variationen von…“.
Bekommt man doch ein Produkt auf unterschiedliche Art dargeboten. Das Bau´sche Streben nach Perfektion und Höchstleistungen servierte uns den Rücken vom Rind auf Holzkohle gegrillt, das Short Rib bei Niedrigtemperatur 36 Stunden geschmort und Cannelloni, gefüllt mit Rindertatar.
Dazu Zwiebelcreme, kleine glasierte Zwiebeln, Zwiebelbrösel, Auberginenkaviar, Auberginenchips, Jus braisé mit Soja und verfeinerter Kombu Ma. An dieser Stelle muss ich passen. Kombu ist ein essbarer Seetag. Kombu Ma?
Zu den Desserts:
Für meine Frau gab es „Pina Colada“
Ananasragout mit einem Ananassüppchen, Kokosnusssorbet und ein Sorbet von Pina Colada. Überaus aromatisch, intensiver Ananas- und Kokosgeschmack.
Variationen von Yuzu.
Yuzy, eine japanische Zitrone, stammt ursprünglich aus China.
Das Öl aus der Schale der tennisballgroßen Frucht wird gerne in der Parfümindustrie verwendet. Sie hat eine komplexe Säure und ist etwas salzig im Nachgeschmack.
Zunächst sehen wir eine Creme mit Dill, schön als Schlange geformt, dazuYuzutaler, Yuzustreusel, ein Marshmallow von der Grapefruit, einen zerbrochenen Grapefruitmeteoriten, Grapefruitfilets, Zitronenfinanciers, Joghurtsteine, ein Sakegel mit Sakepapier.
Zitrone und Grapefruit, da muss man eigentlich zum Geschmack nicht viel sagen, dennoch wäre das in diesem Falle zu oberflächlich erklärt. Es ergeben sich durch die unterschiedliche Art der Zubereitung nämlich weitaus mehr Nuancen, als es die bloße Aufzählung der Komponenten ahnen lässt.
Damit hält die Pâtisserie die kreative Bandbreite hoch.
„Café au lait“
Kaffeecanache, Kaffeecreme, Kaffeechips, Schokoladenbiskuit, Schokoladenkuchen mit Macarons von Milchkaffee, Milchsphäre, Milchkaffeehaut (erweckte verborgene Kindheitserinnerungen), geeiste Kaffee-, Milch- und Schokoladenperlen, Mandelbiskuit, Amarettogelee, karamellisierte Haselnüsse, geraspelte Haselnüsse.
Ferner gab es ein grandioses Kaffeeeis, Espressogranitee mit Sahne und Kakao.
Viel Schokoladengeschmack, manchmal süss, manchmal etwas bitter, insgesamt stimmig und ein sehr gut geratener Abschluss eines außergewöhnlichen Menüs.
Falls sich die Frage aufdrängen sollte, ob ein Menü in solcherart Fülle überhaupt bewältigt werden kann, darf ich mit Freuden anmerken, dass die Bau´sche Küche überaus leicht daherkommt. Bei dem folgenden Fiinale hatte ich mir jedoch schon etwas Zurückhaltung auferlegt.
Die gereichten „Süssigkeiten“ werden nur auszugsweise in diesem Bericht bildlich festgehalten. Die Aufzählung sollte jedoch vollständig sein:
– Alkoholfreier Mojito mit Minze, Limette, Sahne, brauner Rohrzucker,
– Olivengummibärchen,
– Limonen-Creme Brulee-Tarte,
– Pina Colada Törtchen,
– Macaron vom grünen Matchatee mit Himbeerkern und Blattgold,
– Schokoladen-Gewürzcanache mit Kaffee,
– Baileys-praline mit weißer Schokolade,
– Bitterschokoladenpraline gefüllt mit Yuzu und Sesam,
– Dreierlei Marshmallows (Schokolade, Sauerkirsch, Orangenblüte).
FAZIT:
Die Mischung verschiedener Einflüsse ergeben komplexe Geschmacksbilder. Bau arbeitet produktorientiert und richtet detailverliebt an. Vor allem sein Spiel mit Kontrasten süss/sauer/salzig/weniger bitter und Temperaturen hat uns überzeugt. Derart beeindruckt wird es nicht verwundern, dass die Reisepläne für das nächste Jahr einer Änderung unterzogen werden müssen.
Mit viel Charme und und Sachkunde, führte uns die Servicecrew durch einen gelungenen Abend. Allen voran Frau Yildiz Bau, der es mit der ihr eigenen badischen Bodenständigkeit gelang, eine freundliche, angenehme Atmosphäre zu schaffen und mit Leichtigkeit und ohne große Gesten, den Service zu dirigieren.
Erwähnen möchte ich auch den kundigen Sommelier Daniel Kiowski, durch den wir uns mehr als gut beraten fühlten.
Danke für den ausführlichen Bericht! Wir waren vor nicht so langer Zeit auch mal dort (ich hoffe, ich bringe den Bericht irgendwann fertig…) , fanden es gleichfalls sehr beeindruckend!
Das japanische Meer wirkt ja auf Ihren Bildern optisch absolut beeindruckend, und geschmacklich gleichfalls – mir läuft das Wasser im Mund zusammen 😉