Interview mit Claus-Peter Lumpp und Stefan Leitner

Vor einigen Jahren hatte ich bei den Berliner Chefdays den Pâtissier Christian Hümbs interviewt. Es war also höchste Zeit endlich mal wieder einen hochbegabten Pâtissier zu Wort kommen zu lassen. Die Wahl fiel auf Stefan Leitner vom Restaurant Bareiss in Baiersbronn. Ein Termin war ebenfalls rasch gefunden und die Reise nach Mitteltal konnte angetreten werden. Zu meiner großen Freude konnte ich auch den Küchenchef Claus-Peter Lumpp, den man nun wirklich nicht mehr vorstellen muss, für das Gespräch gewinnen. Stefan Leitner wird sich der Einfachheit halber in dem Interview selbst vorstellen.

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Stefan Leitner ( @ Bernhard Steinmann)

Bernhard Steinmann (B.St.) Herr Lumpp, wir waren gestern in Ihrem Stammrestaurant für Hotelgäste und haben Teile des Menüs gegessen. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich in sogenannten Ein-Sterne-Restaurants schon schlechter gegessen habe. Haben Sie nicht die Befürchtung, dass die Stammgäste letztlich lieber den sogenannten kulinarischen Ferientag einem à la carte Restaurant vorziehen?

Claus-Peter Lumpp (C.-P.  L.): Diese Befürchtung teile ich nicht. Natürlich höre ich von vielen Gästen, dass sie höchst zufrieden sind mit unseren Hotelgast-Restaurants und den kulinarischen Outlets. Das ist auch gut so und entspricht genau unseren Ansprüchen im Hotel Bareiss. Der Besuch im Restaurant Bareiss, wird als ganz eigenes Erlebnis wahrgenommen und die Gäste erzählen mir sehr oft, dass sie im Hotel Bareiss diesen kulinarischen Facettenreichtum besonders schätzen und deshalb gerne zu uns nach Mitteltal kommen.

Zu uns kommen viele Gäste die etwas Besonderes zu feiern haben, einen Jahrestag, den Hochzeitstag oder Geburtstag. Oder man kommt einfach so, aus Freude am Essen und am Leben.

 

B. St.: Herr Leitner, ich möchte nun gerne zu Ihnen kommen. Schildern Sie doch bitte zunächst kurz Ihren Werdegang.

Stefan Leitner (St.L.): In Österreich habe ich eine Bäcker- und Konditorlehre gemacht und somit alles von der Pike auf gelernt. Das war mir letztlich nicht genug. Da in der Patisserie viel mehr Abwechslung herrscht als in der Konditorei habe ich mich dann folgerichtig weiterentwickelt.

Ich war im Wellnesshotel Schwarz in Tirol, danach ging ich zum Bio Hotel Stanglwirt in Going am Wilden Kaiser und im Anschluss zur Bundeswehr. Es folgte ein Engagement im Hotel …liebes Rot-Flüh im Tannheimer Tal und von dort ging es ins Landhaus Bacher in Mautern an der Donau. Danach war ich kurz in der Schweiz und seit 2001 bin ich hier im schönen Bareiss.

 

B. St.: Sie haben sich also sozusagen mit der Patisserie der künstlerischen Seite des Konditorei-Handwerks zugewandt. Was überwiegt in einem Drei-Sterne-Restaurant wie dem Bareiss, wo auf hohem Niveau gekocht wird, der Handwerker oder der Künstler:

St.L.: Es wird beides benötigt. Zunächst bedarf es des Handwerks und erst danach ist der Künstler gefordert. Das Handwerk ist die Basis des Ganzen.

 

B. St.: 2017 waren Sie Patissier des Jahres im Gault Millau Deutschland und 2021 Patissier des Jahres im Großen Restaurant und Hotel Guide. Wie wichtig sind solche Auszeichnungen?

St. L.: Das ist schon eine große Wertschätzung, wenn man so hervorgehoben wird. Das freut und ehrt uns natürlich alle.

 

B. St.: Vor einigen Jahren hat Herr Lumpp in einem Interview, welches ich mit ihm geführt habe gesagt, ich zitiere wörtlich: „Herr Leitner hat 100% Spielraum, er ist sehr selbstständig“. Damit haben Sie eine herausragende Position im Team. Sorgt das nicht für Unruhe auf den anderen Posten?

St. L.: Nein, das ist überhaupt kein Problem. Wir reden ja im Team ohnehin über alles. Wenn ich ein Gericht entwickele von dem ich überzeugt bin, dann schauen wir gemeinsam darüber. Letzte kleine Mängel werden beseitigt. Dies oder jenes wird vielleicht noch ergänzt und am Ende haben wir ein gemeinsames Ergebnis.

Herr Lumpp beispielsweise sieht manche Dinge auch anders als ich.

C.-P.  L.: Im Interview in Dresden mit Herrn Dollase (siehe https://www.bsteinmann-gourmet-unterwegs.de/archiv-der-kulinarik/) habe ich ja auch gesagt, dass man nicht alles alleine können muss und auch nicht kann. Den Bereich den Herr Leitner abdeckt, macht er viel besser als ich. Mein Metier ist eher Fisch, Fleisch oder Gemüse. So etwa habe ich das damals gesagt. Ich würde niemals ein Dessert machen. Er ist eine absolute Koryphäe in diesem Bereich.

Wir haben sogar zusammen ein Buch gemacht. Sein Stellenwert ist unbestritten.

 

B. St.: Herr Leitner. Es ist offensichtlich, dass bei Ihnen immer ein Produkt im Mittelpunkt steht. Beispielsweise derzeit Zwetschgen oder der Apfel. Wie haben Sie das Dessert mit dem Apfel gestaltet, welches sozusagen im Satellitensystem auf den Tisch kommt?

St. L.: Es müssen natürlich verschiedene Geschmacksrichtungen miteinander harmonieren. Die Hauptkomponente ist der Apfel. Diese ist mit Mascarpone und Vanille ausgestattet, hinzu kommt eine Hibiskussauce damit wir etwas Säure und Leichtigkeit erhalten.

Der zweite Teller beinhaltet eine Dulcey Schokolade mit einem Oxalissorbet als Gegenpunkt. Oxalis ist im Schwarzwald sehr verbreitet und beliebt.

Die dritte Komponente ist ganz klassisch gehalten, nämlich ein mit Zimt abgeschmeckter Milchreis. Hinzu kommt ein Apfelkompott und als Säurepunkt diesmal Sanddorn. Eine sehr harmonische Kreation.

C.-P.  L.: Da wird auch ein Stück Kindheit vermittelt. Wir alle haben das doch sehr gerne gegessen. Viele junge Köche vergessen leider die Eindrücke der Kindheit.

 

B. St.: Zucker hat einen schlechten Ruf. Dabei hat man doch manchmal wirklich Heißhunger auf Süßes. Wie gehen Sie mit Zucker um, verschwenderisch oder dezent als Würzmittel?

St. L.: Früher waren wir bestimmt süßer unterwegs. Weißer Zucker wird schon verwendet, allerdings sehr reduziert.

 

Claus-Peter Lumpp ( @ Bernhard Steinmann)

B. St.: Was halten Sie von Gemüse im Dessert?

C.-P.  L.: Also da sind wir uns einig. Das mögen wir beide nicht.

St. L.: Das hat alles seinen Stellenwert. Ich habe das bei Herrn Hümbs probiert. Der setzt das sehr gut um. Grundsätzlich soll man sich Trends nicht verwehren, aber das ist wahrlich nicht meins.

 

B. St.: Wo wir gerade bei Abneigungen sind, was halten Sie von Saftbegleitungen beim Menü?

C.-P.  L.: Da hege ich keine Abneigung. Es ist durchaus sinnvoll. Nicht jeder Gast möchte Alkohol trinken. Da ist der Anspruch an einen Sommelier, dass er eine alternative korrespondierende Getränkebegleitung anbieten kann. Das ist auch unser Anspruch im Restaurant Bareiss. Wir halten alkoholfreie Sekte und Weine und auch grüne Tees dafür vor. Ausschließlich Mineralwasser als Ersatz ist keine befriedigende Lösung.

 

B. St.: Nach dem Hauptgang sind viele Gäste gesättigt. Immer häufiger sehe ich, dass Gäste nach Doggybags fragen, die übrigens in Spanien zur Pflicht werden sollen. Leidet darunter die Wertschätzung für die Patisserie?

St. L.: Das trifft bei uns nicht zu. Sicher kommt das auch mal vor, doch sehr häufig ist das nicht.

C.-P.  L.: Lassen Sie mich hier einmal einhaken. Wenn die Gäste nach dem Hauptgang nicht mehr weiter essen können, haben wir etwas falsch gemacht. Schließlich haben wir ein Gesamtangebot und dazu gehören auch die Desserts und Friandises.

Natürlich kann der eine Gast etwas mehr vertragen und der andere etwas weniger.

 

B. St.: Wie stehen Sie zu Casual Fine Dining, das Tische von Tischdecken befreit oder das Besteck nicht erneuert um die Generation Z oder positiver ausgedrückt, eine jüngere urbane Klientel nicht zu erschrecken?

C.-P.  L.: Ich halte das für einen Marketinggag um Kosten zu sparen. Sie müssen keine Tischdecken mehr waschen, nicht mehr bügeln, sie müssen nicht mehr aufdecken. Sie müssen kein Silber mehr polieren und keine frischen Blumen aufstellen. Ich finde, damit geht auch ein Stück Kultur verloren.

Für einfache Restaurants geht das in Ordnung. Es gibt aber auch eine Hochkultur der Gastronomie und ich bin ein Verfechter dieser Hochkultur, die man auch angemessen repräsentieren muss. Die Generation Z wird auch irgendwann älter. Unsere Gäste sind alteingesessen, die Gästestruktur ist gewachsen. Sie kommen mit ihren Kindern und Enkeln und führen sie an unsere Kultur des Essens heran. Wer in der Kindheit nur Fast Food kennenlernt, kommt bestimmt nicht zu uns.

 

B. St.: Viele Kritiker bemühen bei der Beschreibung von Küche und Restaurant den Begriff der barocken Opulenz. Ich sehe darin eher eine negative Betrachtung. Wird Ihre Großzügigkeit missverstanden?

C.-P.  L.: Barocke Opulenz hört sich altbacken an, was wir aber nicht sind. Wir machen eine klassisch inspirierte Küche. Unsere Zubereitung ist sehr modern inspiriert und wir sind großzügig mit dem, was wir dem Gast bieten. Der Preis entspricht dem Produkt und unserer Leistung, im Vergleich mit dem internationalen Markt haben wir faire Preise. Am Ende des Tages wissen unsere Gäste, ob es sich gelohnt hat bei uns zu speisen. Die große Stammkundschaft scheint diese Frage positiv beantwortet zu haben.

Kritik kann man nicht kritisieren. Die muss man ertragen und manchmal ist sie ja auch inspirierend.

Wir hatten unser erstes Buch „Große Gastronomische Oper.“  Auch dort wurde bereits von unserem Co-Autor von Opulenz gesprochen. Aus diesem Buch wird gerne noch heute zitiert.

 

B. St.: Sind Sie ein unerschütterlicher Traditionalist?

C.-P.  L.: Nein! In Bezug auf Produktqualität und Kochtechnik bin ich wahrscheinlich eher traditionalistisch. Mir geht nichts über den Geschmack. Das ist nicht verhandelbar. Ich gare nicht im Vakuumbeutel. Ich mache mir lieber die Mühe das Fleisch, Fisch und Gemüse traditionell zuzubereiten.

 

B.St.: Takahiko Kondo, ich glaube er war Sous-Chef bei Massimo Bottura ist durch ein Missgeschick das weltberühmte Dessert „Oops! I dropped the lemon tart“ geglückt. Hatten Sie auch schon mit Missgeschicken zu kämpfen?

St. L.: (Lacht) Nicht mit solchen. Jedenfalls ist daraus nie ein Gericht entstanden.

C.-P.  L.: Jeder mach mal Fehler. Ich frage mich natürlich auch, ob dies Marketinggags sind.

 

B. St.: Als Patissier steht man generell noch als letzter am Herd während der Rest der Crew den Arbeitsplatz bereits putzt. Kann das noch Spaß machen?

St. L.: Das macht nichts. Dafür kann ich ja auch später anfangen. Natürlich helfen wir bei den Kollegen auch aus, wenn am Anfang viele Gäste auf einmal kommen.

 

B. St.: Sie pflegen hier nicht nur Traditionen sondern sind durchaus zeitgemäß und modern eingestellt. Sie haben die Vier-Tage-Woche eingeführt. Geblieben sind allerdings acht Services. Müssen Sie in Schichten arbeiten? Wie viele Personen umfasst Ihre Küchencrew?

C.-P.  L.: Die Küchencrew besteht aus neun Personen. Wir wollten die Arbeitszeit reduzieren und haben uns verschiedene Modelle angeschaut. Letztlich haben wir uns für die Vier-Tage-Woche mit acht Services, sprich Mittags- und Abendservice entschieden, bei genauer Erfassung der Arbeitszeit. Dabei muss man berücksichtigen, dass letztlich der Gast entscheidet, wie lange wir in der Küche stehen. Wir kommen jedoch ohne „Last Order“ aus. Wir reglementieren unsere Gäste nicht. Bisher kommen wir damit gut hin.

 

B. St.: Vielen Dank, meine Herrn, für dieses interessante Gespräch.

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