Der Gourmet von heute möchte nicht nur sehr gut speisen und aus interessanter Weinkarte Neuentdeckungen erkunden. Er ist vor allen Dingen offen für neue Konzepte und zwanglose Restaurants. Er sucht nicht weniger als das Restaurant der Zukunft, regionale und saisonale Produkte, eine gemütliche Atmosphäre und große Löcher sollte das alles auch nicht in den klammen Geldbeutel reißen.
Beispiele für zwangloses Ambiente und eine lockere, ungezwungene Atmosphäre gibt es reichlich. Ich verweise nur auf die Restaurants von Joël Robuchon, Kevin Fehlings „The Table“ oder das erst kürzlich besuchte Bandol sur Mer.
Berlin, auf verschiedenen Gebieten als Trendsetter geschätzt, hat auch hier einiges zu bieten. Man nehme ein Raum- und Ausstattungskonzept wie im Nobelhart&Schmutzig in der Berliner Friedrichstraße, einen talentierten und kreativen Koch wie Micha Schäfer und den Hipster unter den Sommeliers, Billy Wagner und ein neuer Hype entsteht. Auch der Guide Michelin hat mit der Vergabe eines Sternes nicht zurückstehen wollen.
Es ist höchste Zeit, dass wir uns das Ganze mal aus der Nähe betrachten.
Wir finden ein Restaurant mit offener Küche und u-förmigem Holztresen vor. Die „Thekenstühle“ mit Lehne sind erstaunlich bequem. Ausreichend Platz ist auch vorhanden.
Die Ausrichtung der Küche wird als „brutal lokal“ angepriesen.
Den Begriff „lokal“ möchte ich gerne einmal als „unbestimmten Begriff“ bezeichnen.
Ich finde, er hat einen mehrdeutigen Inhalt dessen objektiver Sinn sich einem nicht sofort erschließt, sondern der unbedingt der Auslegung bedarf.
Lokal bedeutet nämlich in diesem Falle nicht nur Kreuzberg oder Tempelhof sondern auch Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern oder Polen.
Letztlich könnte man den Begriff „lokal“ ad absurdum führen. Doch überlasse ich es jedem selbst, wie weit er diesen Begriff dehnt und auslegt. Nach meiner festen Überzeugung, arbeitet man im Nobelhart&Schmutzig mit einer durchaus engen Auslegung.
Die kleine Küchencrew wird von Micha Schäfer angeführt, der in der Frankfurter „Villa Merton“ bereits Sternenluft geschnuppert hat.
Der Mann für die außergewöhnlichen Weine, für charaktervolles Terroir und Nachhaltigkeit ist Billy Wagner. Erfahrungen hat er reichlich gesammelt, kommt er doch aus einer Gastronomenfamilie. Er war im Nürnberger „Essigbrätlein“ tätig, in der Grevenbroicher „Traube“, in Köln und Düsseldorf und schließlich in der Weinbar Rutz in Berlin, wo wir ihn erstmals trafen. Als einzigem ist es ihm in den letzten Jahren gelungen, uns, die wir ausgewiesene Weinfreunde sind, zu einem Bier zu verführen.
Noch ein paar Worte zum Namen des Etablissements.
Der Ursprung liegt in einer Story der FAZ.
Die FAZ berichtete am 27. September 2011 über Polo in Hamburg.
In dem Artikel wird Christoph Winter, einer der besten Polospieler Deutschlands und Mitglied des Hamburger Poloclubs wie folgt zitiert: „Polo wird noch immer mit dem ganzen Society-Kram verglichen. Zuschauer im Anzug und schicken Kleidern – das ist es, was man von außen sieht. Aber der Sport ist extrem hart und extrem schmutzig.“
Der Artikel war reichlich passend mit „Nobel, hart und schmutzig“ überschrieben.
Die Schreibweise wurde für das „Speiselokal“ leicht verändert und die dazugehörige Auslegung des Namens kann man sich vor Ort gerne erzählen lassen.
Die Speisenfolge ist schnell festgelegt, es gibt schließlich nur ein Menü.
Das Menü:
Aal (Müritz Fischer)
Der bei 45 Grad leicht geräucherte Aal wird mit scharfen Rettichsprossen serviert.
Man isst mit den Fingern. Ungern.
Topinambur (Grete Peschken)
Die Knolle ist gebacken, leicht karamellisiert, außen kross und innen einem Püree ähnlich. Hinzu kommt ein cremiger Joghurt und fertig ist die puristische Kreation. Eine Kleinigkeit, die uns dennoch begeistert.
Dieser Eindruck ist übrigens nachhaltig. Das heißt, dass ich in manchen Momenten noch immer begeistert bin, in anderen Momenten aber auch ob der kleinen Portion Klage führe.
Um dem Verdacht entgegenzutreten, dass man am Ende hungrig das Speiselokal verlässt, wird Brot und Butter gereicht. Wie in anderen Restaurants eben auch.
Doch bei Micha Schäfer ist dies schon der dritte Gang.
Hartweizengrieß Sironi Brot & Rohmilchbutter (Stettin / Polen),
so steht es auf der Karte.
Der aus Italien stammende Alfredo Sironi backt das empfehlenswerte Brot täglich in der Markthalle Neun in der Kreuzberger Eisenbahnstraße. Die Butter ist selbstgemacht.
Müritz Forelle / Grünkohl (Müritz Fischer)
Die Forelle ist nur leicht angegart, fast roh und butterzart. Entsafteter Grünkohl, etwas Haferkernöl und ein leicht geräuchertes Kartoffelpüree schließen die Zutaten ab.
Ein gelungener Gang.
Chicoree / Petersilie (Landgut Pretschen)
Die Fokussierung auf wenige, sehr wenige Bestandteile eines Gerichts findet seine Fortsetzung. Der Kaviar (Forellenkaviar?), mariniert in einem Rapsölauszug, wird auf einem rohen, bissfesten und mit deutlichen Bitternoten versehenen Chicoreeschiffchen serviert. Interessant, kreativ und schmackhaft.
Rosenkohl / Löwenzahn (Domäne Dahlem)
Der Rosenkohl wird gebraten und mit Semmelbrösel angerichtet.
Die geschlossenen Löwenzahnblüten wurden bereits 2013 gepflückt und eingeweckt.
Nun wird noch ein Lammfond angegossen und ein beeindruckendes Gericht mit zarten Senfnoten lässt keine Wünsche offen.
Zwiebelsuppe (Landgut Pretschen) o.Abb.
Die rohen Kartoffeln werden hauchdünn aufgeschnitten und mit Lammfett übergossen.
Hinzu kommen junge Zwiebeln und Lauch. Schließlich wird alles mit einem Hauch Bier abgeschmeckt.
Ein tadelloser Gang.
Damwild / Sellerie (Gut Hirschaue)
Der Damwildbauch ist eine Premiere für mich.
Das Fleisch wird zunächst Sous-vide gegart und danach angebraten. Dadurch wird das Fleisch außen sehr kross.
Ein Selleriepüree, aromatisch und einfach köstlich und Endivie, nur leicht blanchiert , runden die Kreation ab.
Die Bitterstoffe sind spürbar, jedoch nicht störend.
Quitte /Blütenpollen / Traubenkernöl (Forsthaus Strelitz)
Traubenkernöl und Creme, Petersilienwurzel, Granitee von der Quitte.
Kalt, erfrischend, fruchtig.
Aronia / Sahne (Fläminger Genussland)
Das Aroniasorbet ruht auf eingekochter Sahne, deren Geschmack an Kondensmilch heranreicht. Der Johannisbeersaft mit den kräftigen Fruchtnoten ergänzt sich mit dem Baiser, welches nach Rosenblüte schmeckt.
Den Abschluss findet das Menü mit einem Nussgebäck mit Berberitzen (Potsdam), welches der Gast mitnehmen darf.
Wein und Service:
Crémant Indigene, Weingut: Stephane Tissot, Jura
2011, Domaine Guiberteau, Saumur Clos de Guichaux
2014, Viré-Clessé „Quintaine“ Pierette & Marc Guillemot, Domaine Guillemot-Michel
2010, Hallgarten-Hendelberg, Riesling, Peter Jakob Kühn
Red Oat Ale by Spent Brewers Collective
Hopfengestopftes Rotes Hafer Ale, fruchtig-malzig nach experimenteller Brauart
2009, Cotar, Vitovska, Kras, Slovenia
Berliner Weisse, Schankbier, Berliner Brewbaker
2012, Riesling Spätlese, Kröver Letterlay, Martin Müllen, Traben-Trarbach
Billy Wagner ist ein ernstzunehmender und überaus kundiger Sommelier, auch wenn nicht wenige seine Popstar-Qualitäten in den Vordergrund rücken. Nicht jeder Wein mag zu jedem Gast passen, zu den ausgesuchten Speisen passen sie jedoch allemal.
Wagner mag es nachhaltig. Biodynamische Qualität mit Demeterzertifizierung wird gerne genommen. Seine Weinbegleitungen machen Spass und erweitern die Sicht auf die Welt der Weine.
Die Servicecrew ist engagiert, professionell, freundlich und kompetent.
FAZIT:
Micha Schäfer ist ein Meister des Purismus. Seine Kreationen sind verstörend minimalistisch aber betörend im Geschmack.
Wer größeren Portionen nachtrauert, mag sich mit Benjamin Franklin (1706 – 1790) trösten: „Seit der Erfindung der Kochkunst essen die Menschen doppelt soviel, wie die Natur verlangt.“
Na also!
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