Außergewöhnlich. Ehrgeizig. Durchdacht. Tja, so könnte der kürzeste Restaurantbericht über das Berliner „Ernst“ aussehen.
Das ist aber längst nicht alles. Das Zauberwort lautet: Überzeugung. Dylan Watson-Brawn ist überzeugt. Von seiner Arbeit. Von dem was er macht. Er glaubt fest daran. Und wenn auch wir überzeugt sind, dann haben wir ihn verstanden. Doch was, wenn nicht?
Der in Vancouver geborene Watson-Brawn jobbte schon in jungen Jahren in der Küche eines Restaurants. Mit 16 reist er mit seinem Vater nach Japan. In Tokio speisen sie im „Ryugin“. Kurz danach beginnt sein Engagement in der Küche des als Exzentriker geltenden Seiji Yamamoto. Nach etwa 1 1/2 Jahren verlässt er Japan und verbringt weitere Stationen im Eleven Madison Park in New York und im Kopenhagener Noma.
Bei der Michelin-Pressekonferenz am 26. Februar 2019 in Berlin hatte ich Gelegenheit Watson-Brawn kurz zu sprechen. Der Restaurantbesuch war bereits gebucht. Der junge Koch ist überaus aufmerksam, freundlich und zurückhaltend.
Zunächst aber noch einige kritische Erläuterungen zur Reservierung. Damit möchte ich keine schlechte Laune verbreiten. Sie sollen aber nicht nur wissen wie die Küche funktioniert, sondern Sie sollen auch die Rahmenbedingungen erfahren.
Das Restaurant verkauft Tickets über das Reservierungsportal Tock. Man zahlt im Voraus, so als ginge man in das Theater oder in die Oper. Damit wird, meiner Meinung nach, das unternehmerische Risiko auf den Gast übertragen. Doch nicht nur das. Die „Service Charge“ von 15 % wird gleich mit vereinnahmt. Dieses „Bedienungsgeld“ ist nicht freiwillig, sondern grundsätzlich Bestandteil des Kaufpreises. Das „Trinkgeld“, die freiwillige Leistung des Gastes für guten Service, bleibt natürlich Ihnen vorbehalten.
Der Empfang im kleinen Restaurant ist freundlich. Schnell werden die Plätze eingenommen. Tatsächlich ist der Platz an der Theke ausreichend. Das habe ich bei Robouchon schon enger erlebt. Und ja, wir sind im Wedding. Darüber wurde auch schon viel geschrieben. Mag der Tourist den Wedding auch meiden, der Gourmet findet den Weg.
Nun kommen wir endlich zur Hauptsache: Das Menü.
Alle Gänge, soweit man hier von Gängen sprechen kann, stelle ich nicht vor. Wir haben etwa 40 Schälchen verputzt. Da muss eine kleine Auswahl genügen. Am Ende des Menüs wurde eine Menükarte überreicht, die jeweils nur eine Komponente benennt. Das ist wenig hilfreich.
Mehrere Teile des Menüs bestanden aus Kreationen bei denen der Knurrhahn im Mittelpunkt stand. Ohne die chronologische Reihenfolge einzuhalten, möchte ich damit beginnen. Wer es genau wissen möchte, es handelt sich um die Gerichte Nummer 5, 12 und 26.
Knurrhahn im Senfkohlblatt, Umabashi.
Der Fisch wurde kurz von zwei Seiten gegrillt.
Knurrhahnleber
eingelegt in einem Mix aus Dashi, Sake und Soja. Blutorange. Ein überaus aromatisches Gericht.
Knurrhahn
an der Haut gegrillt mit Lauch und Kartoffeln.
Fresh Cheese
mit Dashi und einem dezenten Raucharoma.
Die Annoncierungen werden mal in englischer, mal in deutscher Sprache vorgetragen und sind weitaus weniger lästig, als ich es schon von anderen Gästen gehört oder gelesen habe. Ganz im Gegenteil. Etwas mehr an Informationen über das Produkt und den Hersteller erhöhen das Verständnis.
Auster. Fines de Claire mit Dashi-Gelee.
Also Austern hätte ich hier jetzt nicht erwartet. Umso mehr erfreute mich die ausgezeichnete Qualität.
Shrimps
Die Shrimps werden am Kopf angefasst um den Schwanz in einem Gefäß mit Dashi einzutauchen. Danach wird der Schwanz in Zitrone eingetaucht und verzehrt.
Ich bin kein großer Freund naturbelassener, roher Shrimps. Die 2015 verstorbene Gisla Gniech, Professorin für Psychologie an der Universität Bremen schrieb in ihrem Buch „Essen und Psyche.“ – Über Hunger und Sattheit, Genuss und Kultur -:
„Die Möglichkeit, Nahrung zu garen, ist ein wesentlicher Übergang vom animalischen zum menschlichen Dasein, das heißt von der Natur zur Kultur.“
Chawanmushi mit Shrimps.
Eine japanische Variante des Eierstichs. Auf dem Foto ist der Eierstich allerdings nicht zu entdecken. Er ist unter der Brühe versteckt.
Natürlich gibt es auch reichlich Gemüse. Grünkohl, Rosenkohl, Spinat, Weißkohl, Rotkohl. Da ich herben Chicorée besonders mag und mich schon häufig über die Chicoréeschiffchen in regional ausgerichteten Restaurants lustig gemacht habe, möchte ich dieses Gericht sowie den Rosenkohl beispielgebend für die Gemüseanteile vorstellen.
Chicoree, gegrillt mit Molke und Mandeln.
Köstlich.
Rosenkohl
Leicht gegrillt und angereichert mit Speck vom Mangalitzaschwein. Hinzu kommt eingesalzener Jacobsmuschelrogen aus Norwegen.
Perlhuhn
Das Huhn kommt von Spencers (Stevenson) Vermieterin und wird mit Federn angeliefert, die mühsam gezupft werden müssen. Danach wird das Fleisch trocken gealtert. In korrektem Denglish wird „gedryaged“ annonciert. Das Fleisch wird vom Knochen gelöst und mit brauner Butter serviert.
Zitrusfrüchte
Wein und Service:
Christoph Geylers Weinwelt liegt eindeutig außerhalb des Mainstreams. Wenn es mal ein Riesling oder ein Gewürztraminer sein muss, dann findet er eher die untypischen, besonderen Weine. Es macht viel Spaß sich darauf einzulassen.
Der Service ist freundlich und unkompliziert. Die Atmosphäre im Restaurant ist sehr entspannt und bei nur 12 Gästen ist es erstaunlich laut. Die Hintergrundmusik passt zum Restaurant.
FAZIT:
Watson-Brawn präsentiert eine japanisch inszenierte Stilistik mit starker Produktfokussierung und aromatisch grandiosen Kreationen, die nach den Produkten schmecken die verwendet werden. Es gibt keine störenden Komponenten, keine Überwürzungen, die Geschmacksbilder sind von erstaunlicher Präzision.
Die einzelnen Kreationen sind überaus puristisch, was bei nahezu 40 Gängen nicht verwundert. Die Speisen werden punktgenau direkt vor den Augen der Gäste finalisiert.
Tatsächlich findet man keine geeignete Schublade zur Einordnung des Restaurants. Es hat eine erkennbar regionale Ausrichtung. Das hat viel mit der Frische der verwendeten Produkte zu tun und mit dem direkten Kontakt zum Hersteller. Dabei kommt Obst und Gemüse, wie man uns erklärt hat, auch schon mal von „Angelo“ aus Sizilien, manche Teile kommen aus Norwegen oder, wie das Mangalitzaschwein, aus Österreich. Der Geschmack steht im Vordergrund, nicht die Herkunft.
Es gibt, soweit es passt, auch eine saisonale Ausrichtung. Es gibt aber auch eingemachte Früchte und Gemüse aus dem letzten Jahr.
Zurück zur eingangs gestellten Frage. Das Konzept hat uns begeistert und überzeugt.
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